Kategorien
Urteile

Amtspflichtsverletzung des Jugendamtes bei Verdacht von Mißbrauch

Ein Jugendamtsmitarbeiter handelt nicht rechtswidrig, wenn er einen Missbrauchsverdacht an einen Arbeitgeber meldet. Insbesondere wird hierdurch nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen rechtswidrig beeinträchtigt, wenn dieser als Erzieher mit Kindern arbeitet.
Auch weitere unterlassene Ermittlungen würden den Schaden nicht entfallen lassen, so das Landgericht Aachen in seiner Entscheidung 12 O 475/15:

Keine Amtspflichtverletzung bei Meldung Verdacht von Missbrauch an Arbeitgeber

Dass die Beklagte zu 2) und die Zeugin T den Arbeitgeber des Klägers im Rahmen des Gesprächs vom 17.10.2012 über den bestehenden Verdacht informierten und die Empfehlung aussprachen, den Kläger vorerst zu beurlauben, stellt keine Amtspflichtverletzung dar. Hierin liegt kein schuldhafter Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Persönlichkeitsrechte des Klägers.

Grundsätzlich ist eine Behörde zu rücksichtsvollem Verhalten verpflichtet (Sprau, Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 839 Rn. 39). Hierzu zählt auch die Rücksichtnahme auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Die Mitteilung des Verdachts des Kindermissbrauchs gegenüber dem Arbeitgeber kann aufgrund der Sensibilität der Thematik grundsätzlich das Persönlichkeitsrecht des Verdächtigen verletzen, wenn dieser – wie vorliegend der Fall – identifizierbar ist (vgl. BGH, NJW 1994, 1950; OLG Brandenburg, NJW-RR 2015, 239, 240). Ein solcher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn besondere Rechtsvorschriften dies zu lassen (OLG Brandenburg, Beschl-RR 2015, 239, 240).

LG Aachen 12 O 475/15

Die Besonderheit in diesem Fall ist sicherlich, dass der Betroffene als Erzieher arbeitet und daher gesondert zu prüfen ist. Gleichwohl beschäftigt sich das Gericht zu wenig mit den negativen Folgen für den Mann und zur Frage, wie konkret der Missbrauchsverdacht auch auf das Arbeitsumfeld bezogen war.

Kinderschutz rechtfertigt Information an Dritte

Eine Rechtfertigung ergibt sich vorliegend aus § 8a SGB VIII. Die Norm regelt den Schutzauftrag des Jugendamtes im Falle einer Kindeswohlgefährdung. Hiernach hat das Jugendamt bei gewichtigen Anhaltspunkten das Gefährdungsrisiko für das Kindeswohl zu ermitteln. Bei entsprechendem Verdacht vermittelt § 8a SBG VIII dem Jugendamt sogar Befugnisse zum Einschreiten. Etwaige Befugnisse zur Mitteilung des Verdachts gegenüber dem Arbeitgeber des Verdächtigen sind hier nicht ausdrücklich geregelt. Dennoch war ein Handeln der Mitarbeiter der Beklagten zum Zwecke der Gefahrenabwehr aufgrund der schutzwürdigen Belange potentieller Opfer in der konkreten Situation geboten. Dies ergibt sich aus einer Abwägung der schutzwürdigen persönlichkeitsrechtlichen Belange des Klägers einerseits und dem in § 8a SGB VIII verankerten Schutzauftrag des Jugendamtes andererseits.

In Anlehnung an die Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung kommt es zum Schutze der Unschuldsvermutung zunächst nach Ansicht der Kammer darauf an, inwieweit tatsächlich Verdachtsgründe bestehen (vgl. BGH, NJW 2013, 229, 230 m.w.N). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang die handelnde Behörde den Sachverhalt nach ihren bisherigen Möglichkeiten ermittelt hat. Jeder Amtsträger hat die Pflicht, vor einer hoheitlichen Maßnahme, die geeignet ist, einen anderen in seinen Rechten zu beeinträchtigen, den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil des Betroffenen unvollständig bleibt (BGH, NJW 1989, 99 m.w.N.). Ferner ist auf die Schwere der potentiellen Gefährdung sowie die Größe des Adressatenkreises und den genauen Inhalt der getätigten Äußerungen abzustellen.

LG Aachen 12 O 475/15

Nur eine Beweisfrage!

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts zunächst fest, dass hinreichend konkrete Anhaltspunkte vorlagen, die einen Verdacht zulasten des Klägers begründen konnten. Dies ergibt sich aus den glaubhaften Aussagen der Zeugin E2 und des Zeugen O. Sie schilderten übereinstimmend von einem Hausbesuch beim Zeugen u, bei dem dieser von sexuellen Übergriffen durch den Kläger berichtete. Sie hielten die Aussage des Zeugens u auch für glaubhaft. Etwaige Auffälligkeiten des Zeugen u wegen Drogenkonsums, die zu einer anderen Beurteilung hätten führen können, konnte weder die Zeugin E2 noch der Zeuge O feststellen. Für die Glaubhaftigkeit dieser Aussagen spricht insbesondere, dass sich die Zeugen an Einzelheiten des Gesprächs erinnern konnten. So schilderten beide, dass der Zeuge u sexuellen Übergriffen durch „Onkel Togo“ berichtete und schließlich den vollen Namen des Klägers nannte. Gegen die Annahme hinreichender Verdachtsmomente spricht auch nicht die Aussage des Zeugen u. Diese ist bereits unergiebig, da er schildert, dass er sich aufgrund eines Drogenrausches zu der Zeit nicht an die Umstände und den genauen Inhalt des Gespräches erinnern könne.

LG Aachen 12 O 475/15

Keine unsachlichen Äußerungen

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zu 2) und die Zeugin T im Gespräch vom 17.10.2012 unsachliche Äußerungen getätigt oder über die Verdachtsäußerung hinaus von einem feststehenden Sachverhalt berichtet oder den bestehenden Verdacht dramatisierten. Ein solcher Beweis konnte vom Kläger nicht geführt werden. Aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Zeugen G, P und T steht vielmehr fest, dass weder das Wort „Päderast“ gefallen noch ein Verdacht auf den Besitz kinderpornografischen Materials geäußert worden ist. Gegenstand des Gespräches war allein ein Verdacht zu Lasten des Klägers aufgrund entsprechender Aussagen von Dritten. Eine unsachliche Herangehensweise kann auch nicht aufgrund der festgestellten Tatsache angenommen werden, dass in dem Gespräch auch ein Altfall thematisiert wurde, in welchem der Name des Klägers gefallen sei. Dies ergibt sich aus den insoweit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen P und T. Die Zeugen schilderten nämlich auch, dass seitens der Beklagten darauf hingewiesen wurde, dass hierzu keine Akten mehr bestünden. Die Kammer geht schließlich davon aus, dass eine Offenlegung dahingehend erfolgte, dass hierüber keine gesicherten Erkenntnisse bestehen.

LG Aachen 12 O 475/15

Je neutraler sich das Amt verhält, desto weniger kann man es ihm zur Last legen. Das Problem dürfte freilich sein, dass nicht alles bewiesen werden konnte. Z.B. soll der Betroffene auch mit angreifenden Begrifflichkeiten benannt worden sein, wie sich aus dem Urteil ergibt.

Das darf in neutraler Ermittlung nicht sein und belegt eher die These des Betroffenen von schuldhaftem Handeln. Hier aber hat es eben nicht gereicht, weil zu wenig Belege da waren.

Interessen des Betroffenen treten hinter Kindeswohl zurück

Nach einer Abwägung der persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Klägers einerseits und dem bestehenden Schutzauftrag des Jugendamts andererseits ist das Verhalten der Beklagten nicht rechtswidrig. Der Schutzauftrag machte ein Einschreiten der Behörden zulässig. Die Art und Weise, in welcher die Mitarbeiter der Beklagten regiert haben, ist nach Anschauung der Kammer nicht zu beanstanden. Die sachliche Mitteilung eines auf hinreichend ermittelten Umständen beruhenden Verdachts gegenüber dem Arbeitgeber des Klägers stellt aufgrund der Tatsache, dass der Kläger in der Kinderbetreuung tätig war, ein verständliches Vorgehen zur Abwehr potentieller Gefahren für das Kindeswohl dar. Im konkreten Fall treten die persönlichkeitsrechtlichen Interessen des Klägers dahinter zurück.

LG Aachen 12 O 475/15

Diese Ausführungen überzeugen. Das Kindeswohl steht über allem. Gleichwohl kann es nicht schrankenlos sein. Es wird also immer vom konkreten Einzelfall abhängig sein, ob man solche Informationen weitergeben darf. Man muss hier auch bedenken, und dazu schweigt das Landgericht, dass eine Vielzahl von betreuten Kindern betroffen wird durch solche Gerüchte. Auch, dass ggf. die Glaubwürdigkeit einer Aussage nicht von Jugendamtsmitarbeitern geprüft werden kann, steht für mich fest. Gleichwohl verbleibt es bei einer Einzelfallentscheidung.

Ob eine schuldhafte Amtspflichtverletzung seitens der Mitarbeiter der Beklagten zu 1) darin zu sehen ist, dass diese es im Nachgang zum Gespräch vom 17.10.2012 unterließen, die Richtigkeit des Missbrauchsverdachts weiter zu überprüfen, kann dahinstehen. Das Gericht hat nicht feststellen können, dass der behauptete Schaden in Form des Schmerzensgeldes und des Verdienstausfalles auf eine Amtspflichtverletzung durch Mitarbeiter der Stadt Aachen zurückzuführen ist.

Besteht die behauptete Amtspflichtverletzung in einem Unterlassen, kann ein Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden unter Beachtung des reduzierten Beweismaßes des § 287 ZPO nur angenommen werden, wenn der Schadenseintritt bei pflichtgemäßem Handeln mit einer erheblichen bzw. deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre, wobei eine Möglichkeit, ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit nicht genügt (BGH, NJW 2005, 68, 71 m.w.N.). Es obliegt grundsätzlich dem Geschädigten darzulegen und zu beweisen, in welcher für ihn günstigen Weise des Geschehen bei Vornahme der gebotenen Amtshandlung verlaufen wäre (BGH, NJW 1986, 2829, 2831; BGH, NVwZ 1994, 823, 825; BGH, NJW 2005, 68, 72).

LG Aachen 12 O 475/15

Schmerzensgeldanspruch 7.000 €

Der Streitwert setzt sich wie folgt zusammen: 7.000 € Schmerzensgeld,  23.696,72 € Lohnschaden

7.000 € für die (unterstellte) falsche Behauptung, jemand wäre pädophil und die Tatsache, dass man damit für sein Leben gezeichnet ist soll nur 7.000 € wert sein? Das finde ich bedenklich.

Versäumnisse des Gerichts

Ich finde es schade, dass das Gericht sich mit einer Schadenminderungspflicht und der grundsätzlichen Pflicht, auch positive Aspekte zu ermitteln, nicht auseinandergesetzt hat. Das ist nämlich ein weitverbreitetes Phänomen: Es werden nur negative Aspekte ermittelt, positive bleiben unermittelt.

Man hätte sich eine tiefergehende Entscheidung gewünscht. Die sich mehr mit den Grundrechtsabwägungen beschäftigt. Letztlich ist es nur eine Beweislastentscheidung, die aber aufzeigt dass man im Zweifel immer verliert und deshalb konkrete Belege vorlegen muss um Erfolg zu haben.