Kategorien
Urteile

Keine taggenaue Berechnung Schmerzensgeld

Der Bundesgerichtshof hat am 15.02.2022 entschieden, dass man Schmerzensgeld nicht taggenau berechnen könne. Solche Berechnungen würden den Besonderheiten des Einzelfalls nicht hinreichend Rechnung tragen.

Im zugrundeliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht den Schaden anhand eines Durchschnittseinkommens und je Tag der Behandlung im Krankenhaus berechnet. Es setzte diesen für Behandlungsstufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen an.

Dieser rechnerischen Ermittlung hat der Bundesgerichtshof nunmehr einen Riegel vorgeschoben. Die ist in dieser Form unzulässig.

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs

Diese Entscheidung kann auch bei familiengerichtlichen Schadensersatzansprüchen relevant sein. Zwar wurden in den auch hier veröffentlichten Entscheidungen eine solche Berechnung bisher nicht vorgenommen. Ich selber präferiere diese aber.

Steht daher meine Rechtsmeinung im Widerspruch zum BGH? Nein. Denn die Trennung vom Kind ist eher einer Form von Inhaftierung zu vergleichen, gleich ob man ein- oder ausgesperrt ist. Haftentschädigungen werden auch per Dauer und in Tagessätzen bemessen.

Zudem wird hier das individuelle Leid durch die immer selben Konstellationen vergleichbar, anders als bei Unfällen und unklaren Heilungsverläufen.

Letzt sind es bei allen dieselben Grundrechte und Bindungen, die Betroffen sind, so dass Vergleichbarkeit besteht. Taggenaue Berechnung Schmerzensgeld bleibt dann möglich.

Trotzdem sollte man diese Entscheidung kennen, falls man Schmerzensgeld hochrechnet.

Quellen:

Pressemitteilung

Urteil

Kategorien
Allgemein

§839a BGB: Haftung des Sachverständigen

Die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen bemisst sich nach §839a BGB. Wir erklären Euch diesen in diesem Artikel.

Das ist eigentlich ein recht einfacher Paragraph, der nicht viele Anforderungen stellt. Dieser Paragraph lautet:

Wortlaut §839a BGB, §839 Abs. 3 BGB

§ 839a
Haftung des gerichtlichen Sachverständigen
(1) Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
(2) § 839 Abs. 3 ist entsprechend anzuwenden.

§839a BGB

§839 Abs. 3 BGB lautet:

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

§839 Abs. 3 BGB

Rechtliche Voraussetzungen der Gutachterhaftung nach §839a BGB

Rechtliche Voraussetzungen sind daher:

  • Ein Gericht muss den Sachverständigen benannt haben
  • Es muss ein unrichtiges Gutachten vorliegen.
  • Das Gutachten muss grob fahrlässig oder vorsätzlich falsch sein.
  • Eine Entscheidung muss hierauf basieren.
  • Der Geschädigte darf es nicht versäumt haben, gegen die Entscheidung und das Gutachten vorzugehen.

Gerichtlicher Gutachter

Es muss sich um einen gerichtlichen Gutachter handeln. Ich selbst vertrete allerdings die Auffassung, dass auch der behördlich bestellte Gutachter hierunter fällt. Letztlich haftet jeder Gutachter, auch der privatrechtliche, dann eben nach fehlerhaftem Dienstleistungsvertrag und ggf. ohne die weiteren Haftungseinschränkungen des §839a BGB. Der Fall Diemers vgl. hier auf der Seite hat ja bewiesen, wie schwierig die Abgrenzungen sind. Aber dabei wurde auch deutlich, dass immer jemand haftet.

Unrichtiges Gutachten

Ein unrichtiges Gutachten könnt ihr über meine kritische Gutachtensrezension anfechten

oder über methodenkritische Stellungnahmen/Obergutachten.

Falsche Anknüpfungstatsachen

Oft sind auch falsche Anknüpfungstatsachen vorhanden, so dass die Entscheidung BGH XII ZB 68/09 Rn. 42 das Gutachten unverwertbar sein lässt:

Im Ausgangspunkt zu Recht hat das Beschwerdegericht allerdings die seitens des Amtsgerichts veranlasste Stellungnahme des psychologischen Sachverständigen, wonach das Kind aus psychologischer Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zur Mutter zurückgeführt werden sollte, unberücksichtigt gelassen. Die Ergebnisse der Begutachtung konnten schon deshalb nicht ohne weiteres in die Würdigung einbezogen werden, weil der Sachverständige teilweise unzutreffende bzw. ungeklärte Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hatte.

BGH XII ZB 68/09 Rn. 42

Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit

Das Gutachten gem. §839a BGB muss vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch sein. Einfache Fahrlässigkeit reicht nicht aus. Vorsatz ist oft schwer zu beweisen und führt zudem dazu, dass eine Haftpflichtversicherung ggf. nicht mehr eintreten muss.

Vorsicht vor dem Vorsatz: Das kann die Haftpflichtversicherung des Gutachters entlasten! Und ob der Gutachter ausreichend Geld hat…

Die Gutachter werden also versuchen, leichte Fehler zu behaupten.

Entscheidung basiert auf Gutachten

Weiter muss eine Entscheidung hierauf basieren. Vergleiche sind also ein Problem, weil keine Entscheidungen, Antragsrücknahmen auch. Ob man gleichwohl vorgehen kann wird sich unter anderem darauf stützen, ob die Gutachten noch zu Euren Lasten verwendet werden.

Rechtsmittel einlegen!

Es gelten vor allem aber auch die Haftungsausschlüsse bei nicht eingelegten Rechtsmitteln. Man muss also Rechtsmittel einlegen wie die Beschwerde. Verfassungsbeschwerden sind insoweit keine Beschwerden i.S. des §839a BGB. Auch Anträge auf Obergutachten oder Beweisermittlung können hierunter fallen. Nicht gefordert ist aber eine Gutachterablehnung, weil diese nicht den Inhalt des Gutachtens, sondern nur die Person des Gutachters angreift.

Dieser Artikel wird noch ergänzt und erweitert. Kommt also einfach regelmäßig zurück.

Kategorien
Allgemein

Typische Fehler des Jugendamtes

Typische Fehler des Jugendamtes, die zu Schadensersatz und Amtshaftungsansprüchen führen können, werden von mir in diesem Artikel beschrieben. Diese Liste wird nicht abschließend sein, und sie wird laufend erweitert.

Keine Gefährdungseinschätzung nach §8a SGB VIII

Das SGB VIII sieht vor, dass bevor einer verwaltungsrechtlichen Inobhutnahme eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen ist:

(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen.

§8a SGB VIII

In vielen Verfahren, insbesondere solchen, die danach in ein gerichtliches Verfahren übergehen, liegt ein solches Protokoll bzw. eine Gefährdungseinschätzung nicht vor. Auch wenn kein Zusammenwirken mehrerer Fachkräften vorliegt, möglichst unterschiedliche Berufsgruppen, kann ein typischer Fehler des Jugendamtes vorliegen. Dies löst die Haftung aus.

Das Jugendamt lügt

Wenn das Jugendamt lügt, kann das eine strafbare Verhaltensweise darstellen. Dadurch werden viele Amtspflichten verletzt. Mehr zu diesem Thema lest Ihr auf meiner Familienrechtsseite:

Keine kindeswohlorientierte Vorgehensweise

Spätestens seit diversen Reaktionen auf Richter, die §1666 Abs. 4 BGB auch auf Schullehrer anwenden wollten hat der BGH klargestellt, dass dieser nicht auf „den“ Staat anwendbar ist und „Dritte“ im Sinne des Gesetzes keine Behördenmitarbeiter. Im Umkehrschluss heisst dies dann aber, dass Amtshaftung die einzige Lösung ist neben Sorgerechtsanträgen.

Dies kann sein, wenn der Umgang rechtswidrig verkürzt, Verfahren verschleppt oder unnötige Behandlungen aus „Bequemlichkeit“ durchgeführt werden. Auch das Jugendamt muss Maßnahmen am Kindeswohl orientieren, Verstöße hiergegen können Schadensersatzansprüche auslösen.

Rückführungsbemühungen vereitelt

Selbst wenn eine Herausnahme zulässig sein sollte, muss die Rückführungsoption nach dem EGMR immer offen bleiben. Wenn hier aber keine Förderung durch das Jugendamt (als Ergänzungspfleger/Amtsvormund) stattfindet, dann brauchen wir uns alle nicht wundern, wenn Rückführungen nicht stattfinden. Solche Vereitelungen von Kinderrechten kommt häufiger vor. Schwer wird hier allerdings der Nachweis sein und die Kausalität eines Schadens.

Haftung des Jugendamtes für typische Fehler

Wenn die oben genannten oder sonstige Fehler vorliegen und bewiesen werden können, zum Beispiel über das Recht auf Akteneinsicht, dann liegt eine Haftung nahe. Die typischen Fehler des Jugendamtes müssen dann nur noch auf Amtspflichten subsumiert werden, also einer solchen zugeordnet werden und eine Verletzung auch der Amtspflicht bejaht werden. Dann steht Schadensersatzansprüchen nach §839 BGB nichts mehr im Weg.

Mehr zu den Amtspflichten lest Ihr hier: